Ende – und nun?

„Der Roman ist fertig!“ Nach Monaten harter Arbeit, in denen ich eingetaucht bin in die Welt meiner Figuren, in denen ich von ihnen geträumt habe und sie zu guten Freunden wurden, setze ich endlich den Schlusspunkt unter meinen neuen Roman. Ende. Aus. Hurra! Was bin ich froh! Erst mal Sekt trinken und feiern.
Doch nach der Arbeit ist vor der Arbeit. Indem man „Ende“ unter eine Geschichte schreibt, ist sie noch lange nicht fertig. Das Überarbeiten nimmt bei mir fast genauso viel Raum ein wie das Schreiben – Fehler ausmerzen, nachdenken über Inhalte („Ist das wirklich spannend?“) und Form („Schreibt man das überhaupt so?“), hier was kürzen, da was ergänzen, bis die Geschichte runder, stimmiger wird.
Ich gehöre nicht zu den Autor:innen, die ausschließlich überarbeiten, wenn die gesamte Geschichte steht. Ich bastle auch mittendrin herum, schreibe Szenen um oder werfe sie ganz raus, gehe spontanen Einfällen nach und schiebe und sortiere unentwegt. Manche Szenen schreibe ich im ersten Rausch so schnell herunter, dass sie einen eher holzschnittartigen Eindruck hinterlassen. Um plastisch zu werden, benötigen sie mehr Farbe. Dabei kann es auch passieren, dass eine Figur, die anfangs nur in einem Nebensatz erwähnt wurde, auf einmal Raum einnimmt, vom Statisten zum Nebendarsteller aufsteigt. Das macht richtig Spaß, weil ich spüre, wie sehr die Geschichte dadurch gewinnt. Aber am Ende, wenn ich tatsächlich den letzten Satz geschrieben habe, geht es an die Generalüberholung. Und die ist mühsam und oft alles andere als spaßig.
Nächster Schritt: Das Manuskript geht raus an die Testleser:innen. Ich gebe zu, hier kriege ich das erste Mal die große Flatter. Mein Baby wird von Fremden begutachtet. Wenn drei Leute sagen, mit der Geschichte stimmt was nicht, dann weiß ich, dass was nicht stimmt. Wenn drei Leute begeistert sind, kann ich davon ausgehen, dass dreihundert andere es auch sein werden. Und wenn von dreien einer rummäkelt, weiß ich, dass die Leserschaft insgesamt kontrovers reagieren wird. Natürlich muss man die drei Leute gut auswählen, Mama und Tante Hilde sollte man besser nicht zu Testleserinnen machen, die sind selten objektiv.
Nach den Testleser:innen ist meine Lektorin dran. Alles, was sie kritisch anmerkt, zählt eher zum Feintuning. Ich pflüge jeden einzelnen Satz um. Tagelang. Nächtelang. Bis ich eckige Augen habe. Zwischendrin bin ich drauf und dran, aufzugeben. „Ob das da so oder so steht, merkt eh keine Sau“, denke ich. Und: „Das rechnet sich nie. So viel Geld kann ich unmöglich mit dem Buch verdienen.“ Wenn ich anfinge, Arbeitszeiten aufzuschreiben, würde ich wohl beschließen, lieber beim Discounter an der Kasse zu arbeiten.
Aber für Selbstbeweinungen bleibt keine Zeit, stattdessen mache ich mir neben dem Überarbeiten bereits Gedanken übers Marketing. Denn als Selfpublisher muss ich das selbst anleiern. Der Buchtitel gefällt mir noch nicht, im Austausch mit meinen Testleser:innen wähle ich einen neuen aus. Außerdem feile ich am Klappentext, der neugierig machen und die Leute zum Kaufen verleiten soll. Dasselbe gilt für das Cover. Ich kontaktiere Designer:innen und hole Angebote ein. Ich fülle Fragebögen aus, begutachte Entwürfe, schlage Korrekturen vor, begutachte überarbeitete Entwürfe. Ich denke über zusätzliche Werbemaßnahmen nach, hole Angebote ein, treffe Absprachen, schreibe ein Exposé der Geschichte, und so weiter.
Jetzt ist das Buch im Korrektorat. Ich halte inzwischen meine Leserschaft bei Laune und mache fleißig Werbung für die Neuerscheinung. Das fertige Manuskript konvertiere ich zu einem E-Book und erstelle den Buchsatz. Ich lade die Dateien bei den Distributoren hoch und überprüfe x-mal, ob alles gut aussieht. Selfpublisher sein bedeutet auch, dass man sich mit viel Technikkram auseinandersetzen muss. Am Tag der Veröffentlichung rollt eine Lawine an, die ich nicht mehr stoppen kann. Das Buch ist online verfügbar, alle Welt kann es kaufen. Top oder Flop? Wir werden sehen.
Zwischendrin schiele ich ängstlich auf mein Konto. Da kommt einiges zusammen an Kosten. Lektorat, Korrektorat, Grafikdesign, Werbung. 3000 Euro gibt man schnell aus für eine Buchproduktion. Da muss ich ziemlich viele Exemplare verkaufen, damit sich das rechnet. Wenn der Roman ein Flop wird, dann … ja, dann denke ich noch mal über den Job beim Discounter nach.